Ob befruchtete Eizellen auch tatsächlich zu einer Schwangerschaft führen, hängt zum einen von ihrer normalen Entwicklungsfähigkeit ab – und zum anderen von der Funktion und „Aufnahmebereitschaft“ der Gebärmutterschleimhaut, in die sich der Embryo einnisten soll. Die Einnistung (Implantation) des Embryos in die Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) stellt einen recht komplexen Vorgang dar. Um keine Abstoßungsreaktion hervorzurufen, muss der mütterliche Körper eine Immuntoleranz gegenüber dem Embryo, der zur Hälfte aus einem „anderen“ genetischen Material, nämlich dem des Vaters, besteht, aufbauen. Es findet ein „crosstalk“ zwischen dem Embryo und der Schleimhaut der Gebärmutter statt.
Beim Geschlechtsverkehr gelangen nicht nur Samenzellen in die Scheide und in die Gebärmutter, sondern auch andere Bestandteile der Samenflüssigkeit, sogenanntes „Seminalplasma“. Dieses wird jedoch bei einer Insemination beziehungsweise IVF- oder ICSI-Behandlung aus technischen Gründen üblicherweise entfernt, da zu diesen Zwecken eigentlich nur die Spermien genutzt werden. Folglich bleibt der natürliche Kontakt des Seminalplasmas mit der Scheide aus, was zur Folge hat, dass hier ein biochemisch sinnvoller Effekt verloren geht. Denn Seminalplasma enthält Substanzen, welche das Immunsystem modulieren.
Lange Zeit dachte man, die in der Samenflüssigkeit enthaltenen Stoffe dienten hauptsächlich der Ernährung der Spermien. Neuere Studien zeigen jedoch, dass die Seminalplasma-Substanzen möglicherweise für die Immuntoleranz der Gebärmutterschleimhaut oder besser gesagt der Frau von Bedeutung sind und die Einnistung des Embryos fördern können. Der Körper muss hier eine väterliche antigen-spezifische Toleranz aufbauen und das genetisch zum Teil fremde Embryo tolerieren. Entsprechend wurde in mehreren Studien bei der Durchführung eines Embryotransfers in Verbindung mit einer Seminalplasmaspülung am Punktionstag eine höhere Implantationsrate beobachtet.
Die vorteilhafte Wirkung der Seminalplasmaspülung
Das Seminalplasma enthält nämlich eine Vielzahl von Botenstoffen (immunmodulatorische Substanzen), wie z. B. Transforming growth factor beta (TGF-ß), Interferon, Prostaglandin E und Interleukin. Diese Botenstoffe, auch Zytokinen oder Signalstoffe genannt, können über die T-Zellen (genauer gesagt T regulatory cells) Entzündungsreaktionen sowie andere immunologische Reaktionen hervorrufen und die Gebärmutterschleimhaut auf die Einnistung des Embryos vorbereiten sowie das Wachstum von Blutgefäßen fördern. Zytokinen sind übrigens Botenstoffe, körpereigene Proteine, die für die Zellsteuerung zuständig sind. Neben der immunologischen Bedeutung fungieren sie auch als Motor des Zellwachstums. Eine hochaktuelle Arbeit in „Fertility and Sterility“ untermauert ebenfalls die zentrale Bedeutung dieser Botenstoffe, siehe hierzu rechts oben den Textauszug aus PubMed. Der Effekt des Seminalplasmas scheint dabei von der Anzahl und Beweglichkeit der Spermien unabhängig zu sein.
Auf dem Bild rechts können Sie das nach Trennzentrifugation gewonnene Seminalplasma erkennen (45-Prozent-Dichtegradient erkennbar bis knapp oberhalb der Zwei-Millimeter-Linie, darüber liegt der 90-Prozent-Dichtegradient. Die kleine weiße „Wolke“ ganz unten sind die Spermien).
Unkompliziert und vollkommen schmerzfrei: die IGeL Seminalplasmaspülung
Bei der Seminalplasmaspülung wird durch Zentrifugation des Ejakulates ein Teil der Samenflüssigkeit von den Zellbestandteilen getrennt und am Tag der Follikelpunktion oder Insemination etwa 0,1 Milliliter dieses Seminalplasmas mit einem dünnen Katheter völlig schmerzfrei in den Gebärmutterhals und im Bereich des oberen Scheidegewölbes gespült. Somit wird die biochemische Wirkung des ausbleibenden Geschlechtsverkehrs imitiert. Die Spermien selber werden zur Befruchtung der während der Punktion gewonnenen Eizellen oder bei der Insemination in der Gebärmutter verwendet.
Aufgrund der fehlenden Nebenwirkungen bei der Gabe von Seminalplasma und der bislang dargestellten positiven Effekte könnte der Einsatz von Seminalplasma möglicherweise eine Option bei einer IVF/ICSI Behandlung und ebenso auch bei einer intrauterinen Insemination darstellen. Wir wollen dennoch darauf hinweisen, dass die Methode der Seminalplasmaspülung bislang noch keine Routinebehandlung, im Sinne der Schulmedizin, darstellt. Sie muss daher als IGeL abgerechnet werden und ist derzeit noch dem Fachbereich der integrativen Reproduktionsmedizin zuzuordnen.