Eigentlich würde man ja meinen, dass eine möglichst intakte Gebärmutterschleimhaut (=Endometrium) die beste Voraussetzung für die Einnistung eines Embryos bietet. Dies scheint nicht immer so zu sein – möglicherweise ist sogar das Gegenteil richtig. Denn bereits in mehreren Studien wurde bestätigt, dass nach einer Biopsie (=Entnahme einer Gewebsprobe) der Gebärmutterschleimhaut – oder nennen wir es „Ankratzen“ des Endometriums – eine deutlich verbesserte Einnistung stattfindet. Es zeigte sich nämlich, dass eine solche mechanische Manipulation des Endometriums zu einer veränderten Genexpression von Faktoren führt, die an der Implantation beteiligt sind (z.B. Integrin-6 und Matrix-Metalloproteinase-1).
Dieses (auch) sogenannte „Scratching“ (=Ankratzen des Endometriums) wird meistens im Vorzyklus einer IVF/ICSI–Behandlung durchgeführt. In der zweiten Zyklushälfte wird dieser „Eingriff“ (er erfolgt ohne Narkose) mit einem speziellen Katheter/Pipelle (siehe Foto) vorgenommen, bei einer Insemination allerdings in der ersten Zyklushälfte1. Dieser Katheter wird durch den Gebärmutterhals in die Gebärmutter eingeführt und anschließend langsam und spiralartig aus der Gebärmutter zurückgezogen. Durch den Unterdruck und die Bewegung werden kleine Schleimhautstücke abgesaugt und dadurch kleinere „Verletzungen“ in der Gebärmutterschleimhaut verursacht. Dabei kommt es zur Aktivierung präinflammatorischer Zytokine (spezielle Botenstoffe), durch die nachfolgend eine intrauterine immunologische Umorientierung erreicht werden kann. Gerade zum Beispiel bei Endometriose, einer Erkrankung, die mit einer ungünstigen TH1-Immunität assoziiert wird oder gerade auch bei wiederholtem Implantationsversagen, haben wir diesbezüglich schon zahlreiche bemerkenswerte Erfolge erzielt.
Das Untersuchungsverfahren selbst kann leichte Schmerzen und Krämpfe verursachen, Patientinnen empfinden diese ähnlich wie Periodeschmerzen. Gegebenenfalls empfehlen wir daher – um die Beschwerden auf ein Minimum zu beschränken – vor dem Eingriff ein Schmerzmittel einzunehmen. Im Folgezyklus wird dann die geplante künstliche Befruchtung durchgeführt. Und hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied im Vergleich zu nicht behandelten Patientinnen in den Schwangerschaftsraten!
Die „Scratching“-Behandlung, sprich das Ankratzen des Endometriums, wird auch mit der englischen Abkürzung LEI bezeichnet. Was soviel bedeutet wie „local endometrial injury“, also eine vorsätzlich durchgeführte, lokale Verletzung des Endometriums.
Ankratzen des Endometriums – das sagen die Studien dazu:
Eine relativ aktuelle Analyse in „Reproductive BioMedicine Online“ (Volume 25, Issue 6, Pages 561-571, December 2012, vier randomisierte und drei nicht randomisierte Studien mit insgesamt 2062 Patientinnen), konnte zeigen, dass wenn das Ankratzen des Endometriums im Vorzyklus vor der geplanten Stimulation durchgeführt wurde, dies zu einer um 70 Prozent höheren klinischen Schwangerschaftsrate führte als bei den nicht mit Scratching behandelten Patientinnen.
Hier einige Zitaten aus dieser Studie:
„Overall, with local injury there are changes initiated within the endometrium, the immune system and gene expression, all leading to improved receptivity and a favourable milieu for implantation. It could be that injury in the preceding cycle is more effective as all these events require time and are governed by the hormones. Intervention close to embryo transfer can potentially disturb the endometrium and have a negative effect.“
Die Autoren stellen aber klar:
„This then raises the clinical question whether there is a role of local endometrial injury in the preceding cycle in all women undergoing IVF or whether it should be limited to women with RIF. The potential benefit of this simple inexpensive procedure could well outweigh the risks of infection and potential of future subfertility. The benefits could be enormous in terms of emotional wellbeing and financial savings. Moreover, what these and related data suggest is that the importance of endometrial receptivity in contributing to IVF pregnancy success is being underestimated. However, there are unanswered questions regarding timing of intervention, phase of cycle when injury should be induced, use of hysteroscopy versus endometrial biopsy, mechanism of action for injury induced with hysteroscopy and benefit of single versus multiple biopsies. There is an urgent need for large, multicentre randomized studies investigating local endometrial injury and pregnancy outcomes in the unexplained RIF and in patients with unexplained subfertility undergoing first IVF cycle. The aforementioned queries need to be addressed and the evidence can be further strengthened by simultaneous molecular and gene expression studies on the endometrium. Until the results of such trials are available, or an expert consortium guideline is proposed, it should not be a blanket policy to induce local endometrial injury for women undergoing first cycle of IVF and perhaps there is a role for this in women with unexplained RIF.“
Bei dem ESHRE Kongress 2015 in Lissabon gab es ein Abstract (sprich eine kurze Zusammenfassung) aus Irland mit vergleichbarem Wortlaut: „The evidence is strongly in favour of inducing local endometrium injury in the cycle preceding IVF in patients experiencing recurrent implantation failure.“ (siehe hierzu auch rechts die Bildgalerie).
Anders formuliert: Der generelle Einsatz einer Endometrium-Biopsie vor Durchführung eines Embyrotransfers kann zwar anhand der derzeitigen Studienlage nicht eindeutig gerechtfertigt werden, vieles spricht aber dafür. So könnte insbesondere ein Subkollektiv (Frauen mit wiederholtem Implantationsversagen=RIF) von dieser Methode entscheidend profitieren.
Unsere Erfahrung, gerade in Kombination mit der intravaginalen Verabreichung auch von Seminalplasma, ist bislang ausschließlich positiv. Voraussetzung ist aber – und das lässt sich aus dem Vorzyklus leider noch nicht erahnen – dass auch die Embryoqualität passt. Vielleicht stellt dies auch den Grund dar, beim ersten IVF/ICSI Versuch vorzugsweise noch etwas zurückhaltend mit der Scratching-Behandlung zu sein.
Ihr Dr. Jan van Uem und das Team des Kinderwunschzentrums Erlangen